„Cambridge Analyticas großer Hack“ – eine irritierende Heldenreise

Nachdem der Datenskandal rund um das Unternehmen Cambridge Analytica bisher journalistisch aufgearbeitet wurde, bietet die neue Netflix-Dokumentation eine andere, erzählende Perspektive. „Cambridge Analyticas großer Hack“ ist ein Film, der durch seine Machart beeindruckt, zugleich aber auch durch eine Heldenreise irritiert.


Karim Amer und Jehane Noujaim, die mit ihrer Tahir-Platz-Doku „The Square“ 2014 für den Oscar nominiert wurden, haben nun eine Netflix-Dokumentation rund um die zweifelhafte Rolle des Unternehmens Cambridge Analytica in der US-Präsidentschaftswahl und der Brexit-Kampagne „Leave.eu“ nachgelegt. Die beiden haben den Datenskandal mit beeindruckenden Animationen visualisiert und dabei versucht, die vielen, noch immer nicht final geklärten Fäden zusammen zu bringen. Schon der Trailer wirkt wie die Ankündigung eines dystopischen neuen Serienhits auf Netflix.

Gespaltene Kritiken

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Die Kritiken darüber, ob diese Dokumentation gelungen sei oder nicht, sind gespalten: Auf der einen Seite wird der Versuch gelobt, die überaus komplexe Story verständlich aufzuarbeiten und auf die Gefahren für kommende demokratische Wahlen hinzuweisen. Auf der anderen Seite wird auch kritisiert, dass dabei mehr Thesen als Beweise geliefert würden und unberücksichtigt bliebe, inwieweit der Datenskandal nun wirklich die Wahlen beeinflußt habe. Auch der Titel wird als irreführend kritisiert, da die Daten nicht gehackt, sondern bei Facebook abgezogen und weiter verkauft wurden, der eigentliche Skandal hinter dem „Skandal“.

Ein großer Teil der öffentlichen Irritationen über diesen Film wird auch dramaturgisch ausgelöst, denn die Filmemacher verweben die Aufbereitung der noch immer dünnen Faktenlage mit der emotionalen Geschichte der Ex-Cambridge-Analytics-Mitarbeiterin Brittany Kaiser. Die frühere Wahlkampfhelferin Obamas hatte damals die Seite gewechselt, um mehrere Jahre an der Seite des aalglatten Cambridge-CEOs Alexander Nix zu arbeiten, bis sie 2018 den Dienst quittierte, um mit der Publikation ihrer internen Aufzeichnungen zur Aufklärung des Skandals beizutragen.

Doku mit Storytelling

Die Story Kaisers, die die Filmemacher erzählen, folgt dabei der Formel einer Heldenreise, einem erfolgreichen Erzählschema, das US-Professor und Autor Joseph Campbell nach der Analyse vieler guter Geschichten festhielt.

Und das lautet in Kürze wie folgt: Ein Charakter, der wohlgemerkt noch kein Held ist, sondern auf der Reise erst einer werden soll, wird durch eine Botschaft oder eine Einladung aus seinem Alltag herausgerissen und wird vor eine neue Herausforderung gestellt, die er zunächst ablehnt. Ermutigt durch einen weisen Mentor, der ihm gut zuredet und ihm vielleicht sogar eine besondere, magische Waffe mit an die Hand gibt. Also tritt er die Reise doch an, macht sich auf ins Unbekannte, trifft dort auf Freunde und Gegner, besteht erste Prüfungen, um am tiefsten Punkt seiner Reise in der Höhle des Monsters anzukommen, dort zu scheitern und zutiefst zu verzweifeln. Um schließlich aber doch „wiederbelebt“ anzutreten, um „das Monster“, das ihn plagte, im finalen Kampf zu erlegen bzw. zu überwinden. Gestärkt mit einer neuen Gabe oder der Beute tritt er den Weg nach Hause an, wo er als Held wieder in seine alte Welt zurückkehrt – charakterlich gestärkt und verändert durch die Erfahrungen und eine neue Gabe.

Im folgenden TED Ed-Film wird die Heldengeschichte besonders gut erklärt (Spoileralarm: Ihr Lieblingsfilm wird durch Ansehen dieses Videos garantiert entmystifiziert):

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„Die Heldenreise“: eine alte und bewährte Erzähltechnik, Quelle: YouTube, TED

Die Metamorphose einer zweifelhaften Heldin

Es gibt ca. 20 unterschiedliche Plots der Heldenreise: „Vom Aufstieg und Fall“, „die Flucht“, „die verbotene Liebe“ und viele mehr. Alles Spielarten ein und der selben Mechanik. Der Charakter auf der Heldenreise dieser Dokumentation ist Brittany Kaiser. Und auch ihr Plot ist klar erkennbar: die „Metamorphose“. Schauen wir uns die einzelnen Schritte genauer an.

TED ed – Mathew Winkler „What makes a Hero?“– Quelle: YouTube

Call for Adventure“: Christopher Wylie, ebenfalls Ex-Cambridge Analytica-Mitarbeiter, Markenzeichen bunte Haare und bekannt geworden durch seine Offenlegungen zum Skandal, hatte bei seiner Vernehmung im Untersuchungsausschuss angeregt, die bis dahin unbekannte Kaiser vorzuladen. Das war der Startschuss zu Kaisers Reise, ihr „Call for Adventure“ sozusagen. 

Christopher Wylie, Whistleblower im Cambridge Analytica Skandal
Christopher Wylie, Whistleblower im Cambridge Analytica Skandal, Quelle: The Observer

Status Quo“ und „Aufbruch/Überschreiten der Grenze“: In einem geradezu absurden Interview in einem irritierend luxuriösen Hotel-Pool in Thailand äußert Britanny ihre Zweifel über ihre Rolle als Aufklärerin, begibt sich dann aber doch auf die (Flug-)Reise ins Unbekannte. Die Mission: ihre Rolle und die des Unternehmens in den Wahlkämpfen offenzulegen. Noch hat sie aber kein echtes Bewusstsein, auf der falschen Seite mit den Bösen gespielt zu haben. Denn Menschen, so ist sie überzeugt, treffen am Ende trotz aller Manipulationsversuche ihre eigenen Entscheidungen.

Der Mentor“ und „die Begleiter:“ Moralisch unterstützt und persönlich begleitet wird sie auf ihrer Reise von ihrem Mentor, dem Polit-Aktivisten Paul Hilder. Zusätzlich tauchen in der Doku weitere moralische Mitstreiter quasi im Gegenschnitt auf: US-Professor David Carroll, der Cambridge Analytica auf die Herausgabe seiner Daten in England verklagte, und Carole Cadwalladr, die investigative Journalistin, die mit ihren Untersuchungen die Aufklärung um die Leave.eu Kampagne missionarisch unterstützte.

Brittany Kaiser auf ihrer persönlichen Heldenreise, Quelle: Screenshot Netflix Trailer

Die Prüfungen“ und „Die Annäherung“: Der Auftritt Kaisers vor dem Untersuchungsausschuss ist sicher ein entscheidender Konflikt, den sie aber aushält. Als Gegenspieler auf dem gleichen Schlachtfeld taucht Facebooks CEO Mark Zuckerberg als unverantwortlicher Datensammler mit kaltem Pokerface und widersprüchlichen Aussagen auf. 

Das „Monster“: Ihr geschlagener Ex-Boss Alexander Nix erscheint zwar nur in Einspielern als ihr eigentlicher Gegenspieler, da er ein persönliches Interview ablehnte. Dramaturgisch korrekt verbeugt er sich aber in der Rolle „des geschlagenen Monsters“ und gratuliert Brittany via Messenger und mit Zwinker-Smiley zum gelungenen Auftritt vor dem Ausschuss. 

Die Höhle: Die tiefste Krise ihrer Wandlungsgeschichte erlebt Kaiser allerdings dann kurz darauf, als im Laufe der öffentlichen Berichterstattung klar wird, dass sie ihre Rolle „in der Geschichte“ und all das, was sie darüber hinaus noch getan hat (z.B. ein Kontakt mit Wikileaks), doch nicht einfach abschütteln kann.

Die Rückkehr: Moralisch unterstützt von ihrem Mentor Hilder entflieht sie der medialen Verfolgung und kehrt – wieder mit dem Flieger – um viele Erkenntnisse reicher und scheinbar geläutert dahin zurück, wo sie vor Jahren eigentlich angefangen hat: Sie möchte sich ab jetzt für Datenrechte als Menschenrechte einsetzen statt sie zu beugen.

Die „Heldenreise“ Kaisers ist eine gute Idee, als wichtiger Teil der Dokumentation wirkt sie aber leider nicht glaubwürdig. Insbesondere die geradezu absurde Pool-Szene zu Beginn irritiert, ist aber wohl der Dramaturgie geschuldet. Auch Brittany’s Motivation, mit ihrer Rolle „in der „(Welt-) Geschichte“ unzufrieden zu sein, wirkt merkwürdig überhöht und läßt Zweifel an den wahren Beweggründen der Heldin aufkommen. Ebenso wie ihre fragwürdige Karriereentscheidung zuvor, auf die dunkle Seite der Macht zu wechseln. Am Ende stellt sich dem Betrachter Frage: ist sie nun wirklich geläutert – oder nur eine für immer vom Weg abgekommene Opportunistin, die diese neue Bühne vergeblich sucht, um ihr öffentliches Bild rein zu waschen? Sympathie mit ihr, trotz all ihrer Anstrengungen, will jedenfalls nicht so richtig aufkommen.

Fazit: Die Netflix-Doku hat Ecken und Kanten, ist aber sehenswert

Das ist schade, aber kein Grund, sich diese beeindruckende und zugleich erschreckende Doku über ein „unethisches Experiment an der Gesellschaft“ (Film-Zitat Christopher Wylie) nicht anzuschauen. Im Gegenteil: Sie hat aufrüttelnde Momente und zeigt mutmachende engagierte Menschen im Kampf gegen scheinbar übermächtige Unternehmen. Es ist auch visuell ein beeindruckender Weckruf, sich Gedanken über die Daten zu machen, die man tagtäglich – unbewusst aber freiwillig – an „die großen Daten-Sammler“ wie Facebook, Google und Co und die zweifelhaften Protagonisten dieser – bis zuletzt undurchsichtigen Welt des Internets – abgibt. Und die Doku macht klar, dass Technologien, die mit diesen Daten geladen werden, zu einer erschreckenden Waffe gegen den Datenspender selbst gerichtet werden können – wenn sie nicht mit großer Sorgfalt geschützt werden.

„Cambridge Analyticas großer Hack“, seit 24.7.2019 leider nur auf Netflix

Titelbild: Netflix

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