KI-generierte Bewerbungsmappe: Umbruch im Design?

Im Zeitalter der Digitalisierung rückt Künstliche Intelligenz (KI) immer mehr in den Fokus der Kreativwirtschaft. Als Experiment hat Björn Kernspeckt eine KI-generierte Bewerbungsmappe erstellt und diese an einer Hochschule eingereicht. Er gibt Einblicke in die Rolle von KI in der Designwelt, Chancen, Herausforderungen und erste ethische Überlegungen.

Hallo Björn! Kannst du dich kurz vorstellen?

Ich bin seit 2021 Professor für Werbung mit dem Schwerpunkt konzeptionelle Ideenentwicklung an der Hochschule Wismar. Neben meiner akademischen Tätigkeit bin ich seit 2020 freiberuflich als Kreativer tätig. Auch wenn ich Ideenentwicklung schon immer geliebt habe, hat sich mein Schwerpunkt im Laufe der Zeit von klassischem Design und Art Direction zu Text und Konzept verschoben. Heute ergänzt sich beides perfekt – genau wie Selbstständigkeit und Lehre.

Prof. Björn Kernspeckt von der Hochschule Wismar, der das KI-Experiment mit dem fiktiven Portfolio konzipiert hat.

Du hast ein faszinierendes KI-Projekt durchgeführt, bei dem du ein Portfolio und sogar eine virtuelle Persönlichkeit mithilfe von KI erstellt hast. Kannst du uns mehr über dieses Projekt erzählen? Was hat dich dazu inspiriert, es an der Hochschule vorzustellen? Welche Erfahrungen hast du mit den KI-Tools gemacht?

Ich habe im letzten Jahr angefangen intensiver mit KI-Tools zu experimentieren und signifikante Fortschritte bemerkt – insbesondere mit der Veröffentlichung von ChatGPT und der 4.0-Version von Midjourney. Die Entwicklungen, insbesondere auch bei Stable Diffusion, zeigten einen deutlichen Qualitätssprung. Zum einen erkannte ich zeitig das Potential dieser Tools, sowohl meinen Arbeitsprozess zu beschleunigen als auch meine gestalterischen Möglichkeiten zu erweitern.

Als Professor stellte ich mir auch die Frage, welche Auswirkungen diese Werkzeuge auf den kreativen Nachwuchs haben könnten. Können sie als Konkurrenz oder als Co-Creation-Tool dienen? In Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen sowie mit Studierenden stellte ich fest, dass das Interesse am Anfang eher gering war. Damals waren zu viele skeptisch und hielten diese Tools für einen kurzlebigen Trend.

KI-generierte Bewerbungsmappe: Ein Portfolio, das auffällt.

Um zum Nachdenken anzuregen, entschied ich mich für ein Experiment: Ich erstellte mit den KI-Tools ChatGPT und Midjourney einen fiktiven Bewerber samt Portfolio und ließ ihn bei den künstlerischen Aufnahmeprüfungen zwei unserer Studiengänge teilnehmen. Natürlich nach Rücksprache mit dem Dekan. Denn so eine KI-Mappe hätte im Nachgang auch auf große Ablehnung stoßen können. Das Ziel war es, zu sehen, ob KI-Tools allein die Eignungsprüfung bestehen können.

Die persönliche Portfolio-Website des fiktiven Bewerbers Max Müller. Generiert mit KI-Tools.

Um das Portfolio zu erstellen, führte ich ein längeres Gespräch mit ChatGPT. Dabei ging ich vom Allgemeinen zum Konkreten vor und versuchte, die Kreativität und die Fähigkeiten des Tools zu nutzen. Es war ein intuitiver Prozess, da ich ChatGPT noch nie zuvor in diesem Kontext verwendet hatte. Das Experiment war für mich eine Möglichkeit, die Grenzen und Möglichkeiten von KI in Bezug auf Kreativität zu testen.

Und wie ging es dann weiter?

Nachdem ich die KI-generierte Bewerbungsmappe in nur drei Tagen fertiggestellt hatte, reichte ich sie wie geplant bei den beiden Studiengängen Kommunikationsdesign und Medien sowie Innenarchitektur ein. Die Spannung war groß, denn ich war neugierig, wie die Prüfungskommissionen die KI-generierte Arbeit beurteilen würden.

Einige Wochen später standen die Ergebnisse der Eignungsprüfung fest: Der KI-generierte Bewerber Max Müller wurde zur nächsten Runde des Aufnahmeverfahrens eingeladen. Die Qualität der mit ChatGPT und Midjourney erstellten Arbeiten schien mit denen von menschlichen Bewerberinnen und Bewerbern mithalten zu können.

Ein Überblick über die KI-generierte Bewerbungsmappe von Max Müller, die mit Hilfe von KI-Tools wie ChatGPT und Midjourney erstellt wurde.

Natürlich wurden im Anschluss alle Kolleginnen und Kollegen eingeweiht. Einige waren erstaunt, andere fasziniert. Es führte zu interessanten Diskussionen über die Rolle von KI in der Kreativbranche und darüber, wie wir als Bildungseinrichtung damit umgehen sollten.

Wie können KI-Tools zukünftig sinnvoll in den Lehrplan integriert werden? Muss sich die Ausbildung vom Kreativen Nachwuchs vielleicht auch grundlegend verändern? Ein erster Schritt in eine spannende Zukunft, in der Mensch und Maschine vielleicht vermehrt gemeinsam kreative Lösungen finden werden.

Studierende und KI: Neugier und Bedenken.

Das klingt nach einem spannenden Experiment. Und es ist eine wichtige Diskussion für die Hochschule. Es ist beeindruckend, dass es die KI-generierte Bewerbungsmappe in die nächste Runde geschafft hat. Das zeigt, wie weit KI-Tools inzwischen sind. Es ist aber auch verständlich, dass die Lehrenden gemischte Gefühle haben. Wie haben die Studierenden reagiert?

Die Studierenden waren zum Teil überrascht, zum Teil fasziniert, manche auch ein wenig empört. Viele waren einfach nur neugierig, wie genau das Portfolio entstanden ist und welche Werkzeuge ich benutzt habe. Während andere sich Gedanken über ihre berufliche Zukunft machten. Es war definitiv ein Weckruf für viele, sich mehr mit KI und den damit verbundenen Möglichkeiten zu beschäftigen.

Herausforderungen und Chancen von KI in der Kreativbranche

Glaubst du, dass solche KI-Tools in Zukunft häufiger im Bildungsbereich eingesetzt werden könnten?

Absolut. Ich glaube, wir haben erst die Spitze des Eisbergs gesehen. Diese KI-Tools haben das Potenzial, die Art und Weise der Ausbildung grundlegend zu verändern, und zwar nicht nur in der Kreativbranche, sondern auch in anderen Bereichen. Es ist wichtig, dass wir uns als Bildungseinrichtung proaktiv mit diesen Entwicklungen auseinandersetzen, um unsere Studierenden bestmöglich auf die Zukunft vorzubereiten.

Ich habe mit einer Studentin über meine Skepsis gegenüber KI gesprochen, vor allem im Hinblick auf zukünftige Berufsaussichten. Sie erzählte mir von einem Phänomen auf Instagram und TikTok, bei dem sogenannte „AI-Artists“ kleine Kanäle analysieren, um herauszufinden, welcher Stil oder welche Illustration gut ankommt. Dann kopieren sie diesen Stil mit Bildgeneratoren, erstellen ihre eigenen Illustrationen und verkaufen sie gewinnbringend aufgrund ihrer hohen Followerzahlen. Das gibt Anlass zur Sorge. Denn echte Kreativität und Originalität können innerhalb von Minuten kopiert werden. Ich bin mir nicht sicher. Wie soll man damit umgehen?

Das ist in der Tat ein sehr heikles Thema. KI-Technologie hat das Potenzial, viele kreative Prozesse zu revolutionieren, aber sie wirft auch viele ethische Fragen auf. Das Beispiel, das du gerade genannt hast, zeigt, wie KI genutzt werden kann, um die kreative Leistung anderer zu kopieren und zu monetarisieren. Das ist problematisch, insbesondere wenn es um Urheberrechte und kreative Anerkennung geht.

Diese KI-Tools haben das Potenzial, die Art und Weise der Ausbildung grundlegend zu verändern, und zwar nicht nur in der Kreativbranche, sondern auch in anderen Bereichen.

Prof. Björn Kernspeckt

Genau, und das ist es, was viele Studierende und Kreative beunruhigt. Die Frage ist, wie man sich in einer Welt positioniert, in der KI so mächtig ist und Originalität und Authentizität so hoch geschätzt werden.

Das ist eine doppelte Herausforderung. Einerseits sollten wir lernen, mit diesen neuen Werkzeugen zu arbeiten und ihre Vorteile zu nutzen. Andererseits müssen wir Wege finden, unsere eigene kreative Identität zu schützen und zu fördern. Es wird immer einen Bedarf an echter menschlicher Kreativität geben, an Tiefe und Kontext, die Maschinen nicht vollständig erfassen können. Aber wir müssen auch wachsam sein und sicherstellen, dass wir uns nicht von der Technologie überholen lassen.

Die Balance zwischen Selbermachen und Kuratieren

Klingt nach einem ständigen Balanceakt zwischen der Nutzung von Technologie und dem Schutz der eigenen kreativen Identität.

Genau das ist es. Und das wird eine der größten Herausforderungen für die nächste Generation von Kreativen sein. Es wird wichtig sein, sich ständig weiterzubilden, sowohl in Bezug auf die neuesten Technologien als auch in ethischen und rechtlichen Fragen. Es ist eine aufregende, aber auch herausfordernde Zeit für die Kreativbranche.

Die Frage ist, wie sich das Bildungssystem anpassen wird. Zunächst müssen wir viele Perspektiven berücksichtigen und die Probleme diskutieren, die auftauchen. Eines der Hauptprobleme ist der Bias in den KI-Trainingsdaten. Es ist wichtig, die Werkzeuge zu testen und ihre Grenzen zu verstehen. Dies ist nur ein erster Schritt. Langfristig könnten diese Werkzeuge die Art und Weise verändern, wie Menschen entwerfen, und das Bildungssystem muss sich anpassen.

Kann man dann nicht einfach die Zeichen- und Illustrationskurse abschaffen?

Das wäre ein Fehler. Einen eigenen Stil zu haben, erfordert harte Arbeit, und oft entwickelt sich erst dadurch die Fähigkeit, Qualität wirklich beurteilen zu können. In Zukunft wird es immer mehr darum gehen, genau das zu kuratieren, was gut ist. Eine Schlüsselfrage ist, wie wir den Studierenden beibringen können, effizient zu kuratieren.

Die von der KI-generierte Bewerbungsmappe enthielt eine humoristische Ungenauigkeit – fehlende Finger in der Darstellung, die von der Prüfungskommission übersehen oder als typischer Anfängerfehler abgetan wurde.

Soll die KI also warten, bis der Mensch gelernt hat, kreativ zu sein?

Es geht darum, die Fähigkeit zu entwickeln, kritisch zu urteilen. Wenn man sich unsere Karrieren anschaut, dann haben wir durch wiederholtes Scheitern gelernt, kreativ zu sein und wirklich Kreatives zu erkennen. Diese Fähigkeit brauchen wir jetzt viel früher. In Zukunft könnte es ein Gleichgewicht zwischen Selbermachen und Kuratieren geben. Wie sich das entwickelt, bleibt abzuwarten. Wir sollten alle weiter ausprobieren und herausfinden, was wie am besten funktioniert.

Eine Frage zum Schluss: Benutzt du täglich KI-Tools? 

Nicht täglich, aber regelmäßig, besonders jetzt, wo ich einen Kurs über künstliche Intelligenz gebe. Die Studierenden sollen lernen, mit ChatGPT zu arbeiten und mit Midjourney Ideen zu entwickeln und umzusetzen. Als Freiberufler benutze ich diese Tools, aber nicht ständig. Manchmal benutze ich ChatGPT, um erste Ideen zu generieren und darauf aufzubauen. Aber diese Tools basieren auf Mustern in großen Datenmengen und machen Vorhersagen. Sie neigen dazu, alles zu standardisieren. Ich versuche, sie eher gezielt einzusetzen und nicht allgemein. Denn ich halte es für wichtig, dass wir unsere menschliche Einzigartigkeit bewahren und das, was uns wirklich ausmacht, von Anfang an in unsere Arbeit einfließen lassen. Ich möchte nicht die Fähigkeit verlieren, unabhängig von KI-Tools zu starten und kreativ zu sein. 

Vielen Dank für das interessante Gespräch Björn!

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