Warum Content Marketing Hype, aber noch nicht Realität ist

Eine aktuelle Studie im HORIZONT scheint keinen Zweifel daran zu lassen: Content Marketing ist in Deutschland angekommen. Verantwortliche in den Unternehmen beziffern ihre Budgets für „Content-Marketing“ in 2013 im Schnitt mit ca. 130.000 € und versprechen Steigerungen. Laut McKinsey werden die Budgets für Content Marketing allein in Deutschland bis 2015 um zwei Milliarden Euro wachsen. Viele Verantwortliche scheinen sich also förmlich auf’s Content Marketing zu stürzen. Als Format-Beispiele werden E-Newsletter genannt, gefolgt von der  Corporate Website (63 Prozent) und Social Media (55 Prozent). Kundenzeitungen und -zeitschriften landen auf dem letzten Platz. Aber wenn plötzlich überall von Content Marketing gesprochen wird, fragt man sich schon, ob denn auch alle das gleiche unter Content Marketing verstehen: Das Ergebnis dieser aktuellen Statista-Umfrage läßt aufhorchen.

Content Marketing ist in der Praxis noch „alter Wein in neuen Schläuchen“.

Statista was verstehen Sie unter CM

Offensichtlich gibt es in Deutschland noch kein klares Verständnis davon, was Content Marketing ausmacht. Die Realität dieser Umfrage gibt Kritikern und Zweiflern des Content Marketings Recht: Hier wird oft ein neues Etikett für tradierte, bereits genutzte Aktivitäten genutzt, ohne die tatsächlichen Anforderungen und Paradigmenwechsel hinter Content Marketing zu verstehen.

Es gibt tatsächlich viele Definitionen von Content Marketing – die kann man u.a.  Content Marketing Institute oder Wikipedia nachschlagen. Die meisten sind sich einig darin, dass der Inhalt vom Unternehmen selbst produziert und „geowned“ wird – ein wichtiges Kriterium, das aber auch breiter verstanden werden sollte. Das zweite einheitliche Kriterium ist, dass dieser Inhalt auf eine Zielgruppe fokussiert und auf deren Interessen ausgerichtet ist. Aber was heißt nun zielgruppenfokussiert im Sinne des Content Marketings wirklich?

„Marketing is too often confused with selling. ”

Google beschreibt Anforderungen an relevanten Content in seinen Engagement Guidelines mit folgenden Fragen: “What value do you offer consumers who visit your owned channels? Are you offering entertainment, education, peer recommendations and feedback?” Hier geht es mit keinem Wort um oben genannte Informationsvermittlung. Denn eine Zielgruppe darüber zu informieren, was das Unternehmen produziert, ist nicht im Sinne zielgruppenfokussiert, sondern unternehmenzentriert. Viele Marketingverantwortliche gehen eher davon aus, dass der Kunde bereits im Kaufmodus unterwegs ist. Marketingverantwortliche richten „Relevanz“ und „Wert“ noch entsprechend klassisch an Kaufargumenten aus. Davor warnte aber schon Philip Kotter bei der Definition von Marketing: „Marketing is too often confused with selling. ”

In einem umfassenden Artikel hat Michael Andrew’s auf story needle, auf den ich mich hier beziehe, eine detaillierte und hervorragende Definition von Content Marketing verfasst:

Es geht um Content:
– der von einer Marke entwickelt und „geowned“ wird,
– dessen Nutzung unterhaltsam ist, weil er bedeutsam ist oder Spass bereitet
– und auf eine langfristige Kundenbeziehung ausgelegt ist
– mit Communities von Menschen mit ähnlichen Interessen, Lebenszielen oder Motivationen,
– die von dem Content angezogen werden (aber nicht notwendiger Weise „darauf angewiesen“ sind)-
– weil er nachhaltig und über eine lange Zeit ihre Interessen anspricht
– ohne dabei vordergründig auf einen von der Marke erwünschte Transaktion abzuzielen –
– und die Kunden einer Marke sein möchten, die ihre Werte teilt und ihre Bedürfnisse versteht,
– was wiederum ein ROI-Potential auf lange Sicht schafft – in Form wertvoller Informationen und Insights für Research und Brand Building durch Interaktion.

Menschen interessieren sich für sich selbst, nicht für Produkte

Auch die in der statista-Umfrage genannte Kreativität ist keine hinreichende Definition für Content Marketing. Zwar hilft es, wenn Content originell und hochwertig im Sinne der Award-Kultur gestaltet wird, um Aufmerksamkeit zu bekommen: aber diese verpufft wirkungslos, wenn der Gehalt/die Haltung des Contents die gewünschte Zielgruppe nicht begeistert.

Verantwortlichen hilft, sich selbst und ihre Interessen zurückzunehmen: Menschen interessieren sich naturgemäß nicht zuerst für Unternehmen, deren Produkte oder Services – so originell sie auch präsentiert werden. Sie interessieren sich in erster Linie und ausschließlich für sich selbst, für ihre eigenen Wünsche und ihre Bedürfnisse. Daher blendet der von Informationen sichtlich genervte Mensch Informationen aka Werbung auch zunehmend erfolgreich aus (Studie Silverpop/Absatzwirtschaft). Unterstützt wird er dabei von digitalen Helfern wie Adblockern, Social Media-Algorithmen, Facebook-Freunden, RSS Feeds, Google-Regeln (Panda/Penguin), individualisierbaren Apps wie Flipboard und TV Streaming-Diensten.

Der Kunde sollte gerne mit der Marke zusammen sein, weil er sich verstanden fühlt

Der Ausweg? Es gilt einen entscheidenden Paradigmenwechsel gegenüber dem in der Umfrage herrschenden Verständnis von Content Marketing nachzuvollziehen: nachhaltig, mit Ausdauer und Budget interessante, nützliche, wertvolle und durchaus hochwertige Inhalte für Kunden zu erarbeiten, die diese so begeistern, dass sie ihnen wirklich ihre Aufmerksamkeit schenken (können) und langfristig in ihren Alltag und ihre Rituale übernehmen. Der Grad der Nützlichkeit und ihr Wert richten sich an der tatsächlichen Motivation der Menschen aus (salopp, dafür merkfähig zusammengefasst: an Fun, Fortune, Fame, Fulfillment).

Informationen über Produktvorteile oder Unternehmensaktivitäten sind damit kein Content Marketing, sondern gehören zur Verkaufsargumentation. Natürlich sind die Grenzen fließend. Denn auch der Vertrieb profitiert vom „echten“ Content Marketing. Er kommt günstiger an neue Leads, neue Kontaktanlässe und -punkte sowie spannende Themen für den Einstieg ins Verkaufsgespräch und für die Kundenbindung.

An dieser Stelle ist es auch nochmals hilfreich, den Unterschied zwischen Content Marketing und Content Strategie zu verstehen: Dafür bietet Michael Andrews eine knackige Erklärung:. „If content strategy is about the functional side (don’t waste people’s time, give them exactly what they are seeking), then content marketing is about the emotional side (make them like being with you.)“

Für den überzeugten Content Marketer ist es also wichtiger, seinen (potentiellen) Kunden zu verstehen, dessen Probleme zu kennen und mit inhaltlichen Konzepten bei der Lösung zu helfen als sein Produkt ins Schaufenster zu stellen.

(Dank an @KrohnCaroline, Net-federation für die Grafiken | Michael Michael Andrews für seine Gedanken, story needle für seine Denkanstösse und Definitionen)

5 Gedanken zu „Warum Content Marketing Hype, aber noch nicht Realität ist“

  1. Leider ist das auch meine Erfahrung aus der täglichen. Dass „echtes“ Content-Marketing eben nicht mit derselben Selbstbeweihräucherungs- und Werbe-Mentalität zu machen ist, die in Marketingabteilungen seit Jahrzehnten mehr oder weniger unverändert vertreten ist, kommt in vielen unternehmen noch immer nicht an. Hier ist noch viel Aufklärungs- und Missionierungsarbeit notwendig.

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    • Vielen Dank für die Bestätigung, lieber Michael van Laar. Die Entwicklung in Märkten wie den USA kann uns die Zuversicht geben, dass die grandiosen Cases in Deutschland auch für Begeisterung und vor allem „Auch haben wollen“-Effekten in den Marketing-Abteilungen und bei Vorständen führen werden. Es gehört dann nach der Einsicht noch mal mehr dazu, es auch umzusetzen, wie die Zahlen zeigen. Packen wir es an. Hier brauchen wir Geduld und Durchhaltevermögen – und gutes Storytelling in eigener Sache. Freue mich über Ihr Folgen auf allen Kanälen. Viele Grüße!

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